Am 1. Mai verprügelt die Polizei in Linz mehrere friedliche DemonstrantInnen, weil diese angeblich vermummt waren. Eine Woche später „provozieren“ vermummte neonazistische Jugendliche BesucherInnen einer Gedenkfeier im KZ Außenlager Ebensee (auch von tätlichen Angriffen ist die Rede). Willkommen in Österreich! „Business as usual“ oder Anzeichen einer zunehmenden Verschärfung sozialer Konflikte?
Angesichts der Weltwirtschaftskrise hat sich auch in der scheinbar beschaulichen Alpenrepublik einiges getan. Die Arbeitslosenzahlen erreichen ungekannte Dimensionen, über 1 Mio. Menschen sind im 9. reichsten Land der Erde armutsgefährdet. Begriff man sich lange Zeit als „Insel der Seligen“, ist nun vielen klarer, dass auch Österreich Teil dieser Welt und deren Wirtschaft ist.
Ende Februar verkündeten die Sozialpartner in trauter Einigkeit massive Verschlechterungen bezüglich der Rahmenbedingungen für die Kurzarbeit. Gleichzeitig rückte der designierte ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund) Präsident von der bisherige Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn ab (was ohnehin nie vehement gefordert wurde). Der ÖGB begreift sich selbst also nicht als den Interessen der Arbeitenden verpflichtet, sondern als Vermittler zwischen Kapital- und ArbeiterInneninteressen. Im Zweifelsfall ist er näher an den Kapitalinteressen, besonders wenn die große Koalition regiert und wegen der Krise die „heimische Wirtschaft“ in Gefahr ist. Sein Anliegen ist das „Gesamtwohl“ der „Volkswirtschaft“ – Was immer auch das sein mag.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund nimmt eine Sonderstellung unter den reformistischen Zentralgewerkschaften ein. Es gibt innerhalb des ÖGB nicht nur kein Fraktionsverbot, die politischen Fraktionen sind im Gegenteil der bestimmende Faktor. Auch kennt der ÖGB nur teilweise Industriegewerkschaften (z.B. im öffentlichen Dienst), wichtiger erscheint ihm (besonders in der Privatwirtschaft) die Einteilung in ArbeiterInnen und Angestellte und nach Berufen (also nach den unterschiedlichen Kollektivverträgen). Das Kämpfen war nie die Sache des ÖGB, war er doch wesentlicher Akteur der Installierung der Sozialpartnerschaft, welche in ihrer heutigen Konstellation erst errichtet werden konnte, nachdem in den 50er Jahren – vor allem unter körperlichen Einsatz der Bau-Holz Gewerkschaft (ÖGB) – wilde Massenstreiks niedergeschlagen wurden. Man war und ist stolz darauf, dass die durchschnittliche jährliche Streikzeit in Sekunden gerechnet wird. Da der ÖGB nicht kämpft, hat er in Zeiten der Krise eine sehr schlechte Verhandlungsposition.
Trotz der betont reformistischen Ausrichtung, der strikt hierarchischen Struktur und des ganz offenen politischen Filzes (die ÖGB Bosse sind keineswegs Parteisoldaten, sondern Generäle – siehe unten), ist der ÖGB anscheinend für die große Mehrheit fortschrittlicher ArbeiterInnen und ArbeiterInnen-VertreterInnen bei aller Kritik ein unterstützenswertes Projekt. Man will ihn demokratisieren und zu einer kämpferischen Gewerkschaft machen. Gefruchtet haben diese Bemühungen freilich nicht, mündeten die Bemühungen der Plattform für kämpferische und demokratische Gewerkschaften (ÖGB intern) doch unter anderem in der Bildung einer erfolglosen Linkspartei. Auf weiter Flur gibt es im ganzen Land bis auf wenige Ausnahmen, wie die 2007 gegründete anarchosyndikalistische Föderation der ArbeiterInnen-Syndikate (in der auch Wobblies organisiert sind), keine authentische basisdemokratische ArbeiterInnen-Selbstvertretung.
Und doch schien sich etwas zu regen in letzter Zeit – zumindest im öffentlichen Dienst. Die Lehrergewerkschaft gab sich kämpferisch, nachdem die zuständige Ministerin den LehrerInnen zwei zusätzliche Arbeitsstunden aufbrummen wollte. Nachdem sich auch die SchülerInnen solidarisierten und sogleich eigene Forderungen aufstellten, schien es als ob zumindest im Bildungsbereich der Anschluss an globale Kämpfe gesucht wird. Doch es kam, wie es immer kommt. Ein äußerst fauler Kompromiss (Keine Mehrarbeit, dafür Streichung der Zulagen, welche aber einen beachtlichen Teil des Reallohnes ausmachen), welcher vor allem nicht pragmatisierten und jungen LehrerInnen sowie den SchülerInnen schadet, wurde zwischen den hauptsächlich die Beamten vertretenden GewerkschafterInnen und der Regierung ausgehandelt. Somit wurde auch weiteren Verschlechterungen für ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst Tür und Tor geöffnet.
Der nächste Brocken kam kurz danach auf uns zu – Die Post wollte die Briefzustellung teilprivatisieren. Die ohnehin schon völlig überlasteten Post-Bediensteten sollten zusehen, wie Arbeitsplätze abgebaut werden und gleichzeitig mit „privaten“ Postunternehmen, welche rein zufällig auch Tochterfirmen der POST AG sind, mittels Dumpinglöhnen „konkurrieren“. Von Streik war die Rede. Herausgekommen ist – wie nicht anders zu erwarten – viel heiße Luft und wieder ein fauler Kompromiss, welcher wie üblich ohne demokratische Beteiligung der Basis von den „ÖGB Funktionären von Gottes Gnaden“ ausgehandelt wurde: Kein Streik, keine Auslagerungen, dafür massive Schlechterstellung von Neueintretenden!
Augenscheinlich ist auch, dass sozialdemokratisch dominierte Teilgewerkschaften am liebsten gegen konservative Regierungsmitglieder auftreten und umgekehrt. Zum Beispiel sitzt der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, zu der auch die LehrerInnen gehören, gleichzeitig als zweiter Nationalratspräsident (!) für die Konservativen im Parlament. Seine ministerielle Gegenspielerin ist rein zufällig die sozialdemokratische Bildungsministerin.
Um einen österreichischen Kabarettisten leicht abgewandelt zu zitieren, sind diese Regungen die manchmal wie Bewegung aussehen, nichts anderes als Gasblasen, welche in einem Sumpf an der Oberfläche zerplatzen.
Wen der ÖGB zunehmend schwerer erreicht, sind die ArbeiterInnen in der Privatwirtschaft. Zwar wurde im Mai von der Gewerkschaft der Privatangestellten (ÖGB) eine Demonstration für „gerechtere Löhne“ im Zuge der Kollektivvertrags-Verhandlungen (vergleichbar mit deutschen Tarifverträgen) organisiert. Allerdings waren dort vor allem sozialdemokratische Betriebsräte und ÖGB FunktionärInnen anwesend. Gefordert wurde „ein gerechter Anteil am Kuchen“. Hat der ÖGB in der Privatwirtschaft generell einen schweren Stand, will er LeiharbeiterInnen, Arbeitslose und JobberInnen bzw. überhaupt ArbeiterInnen in „prekären“ Arbeitsverhältnissen anscheinend gar nicht erst erreichen.
Unter anderem wegen der – dinosaurierartigen aber dennoch zahnlosen – etablierten ArbeiterInnenbewegung, welche dem Klassenkampf von oben, nicht zu letzt wegen ihrer inneren Verfasstheit und Verfilzung mit der kapitalistischen Klasse und dem politischen Establishment, nichts entgegen zu setzen hat, gedeiht das rechtsextreme Lager als falsche Alternative in Österreich fabelhaft. Zwar herrschen noch keine ungarischen Verhältnisse, jedoch kann das sogenannte dritte Lager (FPÖ und BZÖ) bis zu 30% der Wählerstimmen auf sich vereinen.
Angesichts der herrschenden Verhältnisse macht sich aber Unzufriedenheit breit. Die von der Lehrergewerkschaft, mit der sie sich anfangs solidarisierten, im Stich gelassenen, um nicht zu sagen verratenen, SchülerInnen haben die Schnauze voll und beschlossen selbst zu streiken. Die sogenannten undogmatischen Linken (und nicht nur die) beginnen, ihren Elfenbeinturm zu verlassen und sich zumindest in Ansätzen wieder mit der ArbeiterInnklasse zu beschäftigen. Auch wenn diese Leute eine verbindliche Mitgliedschaft in einer revolutionären Gewerkschaft meiden wie der Teufel das Weihwasser, wird den Bemühungen um eine authentische Selbstorganisierung der ArbeiterInnen zunehmend Sympathie entgegengebracht.
Es macht aber den Anschein als ob auch Teile der so genannten Mittelschicht („gut bezahlte“ FacharbeiterInnen) angesichts der Krise zunehmend ihre Klassenlage begreifen. Jetzt liegt es gerade auch an den österreichischen Wobblies, dazu beizutragen, dass auch die österreichischen ArbeiterInnen Anschluss an die globale Klasse und deren Kämpfe finden. Wir werden gemeinsam mit anderen selbstorganisierten ArbeiterInnen Alternativen zum derzeitigen System (und dessen Akteure) aufzeigen und erkämpfen. Denn eines ist klar, Klassenkampf findet statt, ob wir das einsehen wollen oder nicht. Es liegt nun an uns, diesen Angriffen von oben mit einem Klassenkampf von unten entschlossen entgegenzutreten. Keine leichte Aufgabe, fragte doch im April vorigen Jahres ein Beschäftigter eines von der Schließung bedrohten Thyssen-Krupp Werkes in der Nähe von Graz: „ist streiken in Österreich nicht verboten?“
Wobblie X357708, Wien
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